Es braucht am Ende nichts weiter als einen Hinweis Mützes auf das zu erwartende gute Wetter am letzten Oktoberwochenende, um sich Sonntag morgens aufzuraffen und an den Treffpunkt an der Ahrfeldstraße zu fahren. Zehn Uhr war abgemacht, und weil es ein perfekter Tag werden sollte, spielte uns nicht nur das Wetter in die Karten – sondern auch die Zeitumstellung. Zehn Uhr am letzten Oktobersonntag ist eigentlich elf Uhr in den Sommermonaten, und entsprechend ausgeschlafen und gut gelaunt war der Kellner in Döbbes Bäckerei, als er mir einfach einen Kaffee hinstellte, weil ich später als die anderen kam. Guter Mann, mit der richtigen Einstellung – keiner sollte an diesem Morgen auf irgend etwas verzichten müssen oder unzufrieden sein, und wenn Du, guter Mann, das hier lesen kannst: nochmal Danke für den Kaffee.
Doch jeder Kaffee ist irgendwann getrunken, und nichts bleibt ohnehin, wie es ist – irgendwann kam er dann, unser Roadie, und mit dem letzten Schuck Kaffee war es entschieden: wir sind nicht gekommen, um zu bleiben. Sondern um uns auf die Socken zu machen.
Wohin? – tja, der Roadies ist eben der Roadie, und wie jeder gute Captain bewahrt er die Karten in einer gesicherten Truhe auf. Sicher war deshalb nur, dass es in Richtung Ruhrallee ging. Alles andere folgt einem Plan, in den wir aber nicht eingeweiht wurden, aber das brauchte es an diesem herrlichen Oktobermorgen auch nicht: Essen, 20 Grad, die Sonne scheint, der Helm sitzt – nichts kann diesen Tag verderben.
Nicht einmal die 30-er Zonen, durch die wir uns in Richtung Süden schlängeln. Mensch, Werner, es ist vielleicht das letzte Wochenende in diesem Jahr, in dem wir die Straßen mit anderen Motorradfahrern teilen – und alles, was wir fahren, sind Wohngebieten in 30-er Zonen?
Gefühlt 50 Kilometer geht es an steinernen Vorgärten vorbei; und an jeder Kreuzung verrenkt man sich den Hals, um “Rechts-vor-Links” zu gewähren. Also Werner, so haben wir nicht gewettet – das Thermometer im Cockpit zeigt mittlerweile 22 Grad, ich will Freiheit, Abenteuer, den Wind, der mir um die Nase weht. Bei der nächsten Ampel schließe ich auf, und dann erzähle ich ihm was!
Zum Beispiel über die große Ingenieurskunst, die man in Japan aufgewandt hat, um dieses Gefährt unter mir schneller als 30 Kilometer pro Stunde durch Raum und Zeit zu bewegen. Und wie unwirtschaftlich es ist, immer mit gebremstem Schaum durch Vorstadtreihenhaussiedlungen zu schippern, wo diese 200 Kilo Blech zwischen meinen Beinen doch für die großen Traversen geschmiedet wurden – bis in den Horizont, und meinethalben auch darüber hinaus.
Doch, unser Roadies wäre kein guter Roadie, wenn es da einfach keine Ampel gegeben hätte, an der ich hätte anhalten und ihm meine Meinung sagen können. Und irgendwie war das auch gar nicht mehr nötig. Denn es sind eben doch keine 50, sondern es sind nur fünf Kilometer, die wir durch Essens Hinterhof im Süden fahren, um dann tatsächlich die großen – und die kleinen – Straßen zu befahren, die das Motorradfahren zu einer so wunderbaren Sache machen – im Dreiörteeck Langenberg/Hattingen/Essen lässt er auch die letzte legale Nebenstrecke nicht aus, um die großen Linien zu befahren und die kleinen Kurven zu bezwingen. Tatsächlich, nach einer viertel Stunde auf dem Bock gibt es nichts mehr zu meckern, keine Klage mehr, eigentlich gibt es gar nichts mehr, über das es hier noch zu schreiben gibt: das Großhirn jetzt aus, der Geist fliegt über die Gegend und für einen gar nicht so kurzen Moment weisst Du: besser kann nicht sein, und besser wird es auch in diesem sterbenden Jahr nicht werden!
Und so ziehen wir unsere Runden durch den Süden. Gut, das Laub am Fahrbahnrand trübt den positiven Gesamteindruck und zwingt den Geist, der eben ja noch fließen wollte, wieder zurück in den Allerwertesten: Alter, pass auf, dass Du nicht im Graben landest! Es wird ein neues Jahr kommen, in dem Du und der Bock wieder fahren wollt. Dann braucht es alle Knochen, die Du hast.
Also konzentrieren wir uns auf das Herbstlaub und wie wir es möglichst vertikal durchfahren. Bis es irgend wann in Richtung Bergerhof in Hattingen geht. Doch der von weitem – übersät mit Menschen, die das gleiche wollen, wie wir: die letzten Sonnenstrahlen dieses wunderbaren Jahres aufsaugen und ihre Kraft aufzusaugen für all die grauen Tage, die vor uns liegen.
Soll man sich mit denen gemein machen? Lieber nicht, findet der Roadie, und so verschlägt es uns irgendwann auf den Parkplatz der Gemüsescheune Elfringhausen. An der kein Gemüse auf uns wartete, sondern die vier schnatternden Kollegen vom Anfang dieses Beitrags. Sie schlagen die Brücke zu dem, was jetzt kommt: die dunklen Tage brechen an. Aber auch die, an denen man Gänse essen darf!
Und sie schnattern. Und schnattern. Bei genauem Hinsehen weisst Du: die haben schon mehr als ein Martinsfest hinter sich. Gut so, Kollegen – was immer Euer Job ist, ihr macht ihn offensichtlich so gut, dass ihr nicht im Topf landet.
Vielleicht hat es ja damit zu tun, dass ihr auf der Gemüsescheune wohnt – einem Ort, von dem keiner von uns zwei Stunden zuvor gedacht hätte, dass es ihn heute dorthin verschlägt. Und dennoch waren wir da – und haben uns von einer wunderbaren Tour verabschiedet. Wir sehen uns, ihr Gänse, hoffentlich im nächsten Jahr wieder!
Danke unserem Roadie, der wieder einmal dem Schlachtruf vom Weg, der das Ziel ist, neue Bedeutung eingehaucht hat. Und danke Euch, mit denen ich heute die letzten Sonnenstrahlen tanken durfte, die mich in den kommenden kalten Tagen wärmen sollen. Die Frosttour im nächsten Jahr kann also kommen!