You are currently viewing Rammdösig in Rummenohl

Rammdösig in Rummenohl

Hört zu, liebe Abenteurer! Das Chapter hat gesprochen und für den 4. Juni 2023 zu einer Reise ins atemberaubende Bergische Land gerufen. “Der Roadie plane etwas wirklich Besonderes!”

Soso. Das Bergische Land ist quasi unser Zuhause, besser noch, unsere Westentasche – da kennen wir uns nämlich noch besser aus als Zuhause. Da muss er sich wirklich was einfallen lassen. Allerdings –  wir wissen: mit unserem großartigen Road Captain an der Spitze gibt es immer wieder etwas Neues und Aufregendes zu entdecken. Tatsächlich ist es manchmal unglaublich, wie er immer wieder diese versteckten Juwelen in der hintersten Ecke aufspürt. Die abgelegenen Orte, die man mit ihm anfährt, sind zuweilen so unzugänglich, dass es fast unmöglich ist, sie zufällig zu entdecken.

Und wenn wir es nötig hätten, für unser Chapter zu werben, ging es jetzt in etwa so weiter: “Doch dank seiner wahnsinnigen Fähigkeiten und Insider-Kenntnisse können wir uns immer auf eine wilde Fahrt voller Nervenkitzel, Aufregung und unvergesslicher Erinnerungen verlassen. Wir fühlen uns gesegnet, einen so großartigen Führer auf dieser epischen Reise zu haben, und können es kaum erwarten, weitere magische Momente zusammen zu erleben.”

Aber auch ohne Werbung haben sich zwei Gäste aufgemacht, um uns um halb elf an Haus Scheppen zu treffen und in das südliche Bergische Land aufzubrechen. Selbstredend nicht, ohne die obligatorische Ansprache des Roadie mitzunehmen, der wie ein Steward vor dem Flug noch einmal zeigt, wo die Rettungswesten sind: Ja, wir fahren versetzt. Ja, jeder ist für den Mann hinter sich verantwortlich. Und nein, wir lassen niemanden allein.

Wer von Essen ins Bergische Land will muss zuerst – durch Wuppertal. Und man möchte an einem Sonntag mit 23 Grad nicht denken, dass dies der Tag des Herrn ist. Eine umtriebige Unruhe auf den Straßen der ehemaligen Chemiemetropole, als wäre Winterschlussverkauf. Was einen Verbrennungsmotor sein eigen nennt, scheint ihn an diesem Sonntag angeschmissen zu haben, um damit durch die Gegend zu fahren. Ein Verhalten, das uns natürlich vollkommen fremd ist, geht es UNS doch nur ums Motorradfahren. Und natürlich teilen wir die Straßen gerne mit anderen – aber müssen es denn so viele sein? 

Wuppertal einmal hinter uns gelassen tut sich das Faszinosum des Bergischen Landes auf: Du willst einfach nicht glauben, dass 30 Kilometer nördlich vor 30 Jahren niemand bei Westwind weiße Wäsche in den Garten hängen konnte. Das Bergische Land ist von unglaublicher Schönheit. Und wenn man durch die Schluchten fährt, erwischt man sich selbst bei dem Gedanken: “Also weisse, Glörtal und Glottertal, so richtig Unterschied ist da nicht.” Woanders is halt auch Sch…

Die Straßen schlängeln sich elegant durch die sanften Hügel und bieten teilweise atemberaubende Ausblicke auf die umliegende Landschaft. Kurz darauf erstrecken sich grüne Wiesen weit in die Ferne, während sich die Sonnenstrahlen durch das Blätterdach der Bäume kämpften und zauberhafte Lichtspiele auf den Asphalt zaubern. Wobei der eigentliche  Reiz natürlich in den – jedenfalls bis Altenbreckerfeld – beeindruckend zahlreichen Serpentinen und lang gestreckten Kurven liegt, die uns herausfordern und den Fahrspaß auf das nächste Level heben. Vielleicht ein wenig hoch gegriffen – aber der Roadie schickte uns bis zum ersten Stop auf einem Parkplatz irgendwo im Nirgendwo auf eine Achterbahnfahrt der Sinne, während wir die Straßen entlangfuhren und die Schönheit der Natur in vollen Zügen genossen.

Irgendwann schlug der Roadie einen kleinen Waldparkplatz an. Anfangs waren wir etwas verwirrt, denn es schien, als ob er lediglich wenden wollte. Denn dieser “Parkplatz” war so abgelegen, dass ihn tatsächlich nur findet, wer ihn nicht sucht. Doch tatsächlich – hier sollte gerastet werden. Die Pause war mehr als willkommen, denn die Sonne brannte deutlich heisser als erwartet, und ein Motorradhelm mit vernünftiger Hitzeabfuhr muss noch erfunden werden. Die Abgeschiedenheit des Platzes schien nicht nur uns wie von unsichtbaren Fäden gezogen eingeladen zu haben:  einige Camper hatten sich dort niedergelassen und schauten uns mit einer Mischung aus Erstaunen, Vorsicht und ja, vielleicht auch ein wenig Misstrauen an, wie wir mit unseren zwölf Motorrädern einfuhren. Es schien, als ob sie sich in der Gegenwart von Lederkluft in dieser zerklüfteten Gegend ein wenig unwohl fühlen.

Aufregung in der beschaulichen Abgeschiedenheit eines Parkplatzes irgendwo im Nirgendwo...
... die Rocker kommen. Aber keine Sorge - die tun nichts. Die wollen sich nur kurz die Beine vertreten.

In solchen Momenten zahlt man auch dann, wenn man zu den Guten zählt, die Zeche von Leuten, die glauben, dass ein Motorrad und die Fahrt auf zwei Rädern dazu berechtigt, sich schlecht zu benehmen. Das weiss man, wenn man eine Kutte anlegt – aber man weiss auch: Vorurteile sind vorgefertigte Urteile mit der Möglichkeit, aufgehoben zu werden, wenn sie nicht der Realität entsprechen.

Wir parken unsere Maschinen deshalb in geordneten Reihen und begeben uns erleichtert auf die Suche nach einem schattigen Plätzchen. Leider keines zu finden in dieser Lichtung, aber es war eine Pause, immerhin, die dringend nötig war, um uns von der Hitze zu erholen und uns mit Wasser und Snacks zu stärken. Ausgestreckte Beine, ausgezogene Helme, ausgelassene Stimmung, bei der wir ein wenig entspannt haben. Kameradschaft und  Lachen waren vielleicht sogar für die Camper spürbar, während wir die Fahrt hierher revuepassiveren ließen und versuchten, dem Roadie die Geheimnisse des nächsten Abschnitts zu entlocken. Er behauptete, die Fahrt gar nicht richtig geplant zu haben, sondern sich vom Schicksal treiben zu lassen. Wer’s glaubt! Die Camper kamen am Ende doch wohl zu der Erkenntnis, dass  wir ganz normale Menschen waren, die einfach nur eine Leidenschaft für das Motorradfahren teilen.

Als wir schließlich wieder fuhren – selbstredend ohne irgendwelche Hinterlassenschaften – gab es sogar den ein oder anderen erhobenen Daumen. Man möchte hoffen, dass Ihnen unsere kurze Pause ein weiterer Beweis dafür ist, dass Vorurteile oft unbegründet sind. Wir sind weit davon entfernt, was man von Menschen in Kutten auf zwei Rädern erwartet – und doch vielleicht genau das, weshalb man sich bei 30000 Grad in der Sonne doch eine zweite Lederhaut überstreift: einfach Menschen, die die Freiheit und das Abenteuer auf zwei Rädern lieben. Von uns geht keine Gefahr aus, sondern vielmehr ein Geist der Gemeinschaft und des Zusammenhalts, der sich vielleicht auch auf einem einfachen Parkplatz südlich von Wuppertal überträgt.

Weiter ging es in Richtung Rummenohl. Die Wälder des Bergischen Landes wurden dichter und sind ein Anblick für die Sinne. Die Bäume ragen majestätisch in den Himmel, und das satte Grün der Blätter bildet einen wunderschönen Kontrast zur blauen Farbe des Himmels. Entlang unserer Route stießen wir auch auf kleine, malerische Dörfer und Städtchen, die den rustikalen Charme des bergischen Landes widerspiegelten. Fachwerkhäuser mit blumengeschmückten Balkonen, gepflasterte Straßen und gemütliche Cafés schaffen eine idyllische Kulisse, die uns in vergangene Zeiten zu versetzen schien.

Aber Vorsicht: das Leben ist kein Heimatfilm aus den 50ern. Zwar wünscht sich das Motorradfahrerherz nichts mehr als die kurvenreichen Straßen des Bergischen Landes; für manche sind sie aber auch eine echte Herausforderung: enge Spitzkehren mit schweren Cruisingmotorrädern, das muss man mögen. 

Langer Radstand, tiefer Schwerpunkt, schräge Gabel, weite Federwege – das will geradeaus. In Chicago aufsitzen und in Santa Monica absteigen ist halt auch cooler und hat auch definitiv mehr Anziehungskraft als die klapprigen Bergziegen, die die Familie Quandt in Berlin-Spandau zusammenschraubt. Aber wenn man in eine enge Spitzkehre fährt, die sich zum Ende hin zuzieht, dann wird einem wieder bewusst, dass sich 300 Kilo plus X auf 3 Metern Länge längst nicht so agil um die Ecke treiben lassen wie eine leichte Sport- oder Endurogazelle aus japanischer Serienfertigung. So mancher Harley-Fahrer trägt seinen Bock um solche Kurven. Das tun wir nicht, aber die engen Kurven, durch die der Roadie uns führt – oder halt, nicht er, sondern das Schicksal, das ihm die Richtung vorgibt  – erfordern präzises Handling und eine gewisse Finesse, um sie sicher zu durchfahren. Manchem von uns treibt es den Schweiss auf die Stirn, und zwar nicht nur wegen der Sonne. Als dann auch noch Fahrradfahrer entgegen kommen, die mit schmalen Reifen die schmalen Straßen der Region für eine Tour mit elektrischem Antrieb gewählt hatten, blieb tatsächlich einer auf der Strecke. Stehen. Mitten in der Rechtskurve und mit dem rechten Fuß am Boden. Mit der Hinterradbremse den Bock halten und dabei langsam die Kupplung kommen lassen war also nicht. Er rettet sich dann – mit der rechten Hand die Bremse leicht lösen und mit der linken Hand die Kupplung kommen lassen, derweil man den tendenziell schräg stehenden Bock im Scheitelpunkt der Kurve mit dem rechten Bein hält, das übt man auch eher selten – doch irgendwie wieder irgendwie hoch.

Dieser Vorfall erinnert uns daran, dass das Motorradfahren nicht nur ein individuelles Vergnügen ist, sondern dass wir Teil einer größeren Gemeinschaft sind, die die Straßen miteinander teilt. Auch wenn Fahrradfahrer selten Lederkutte tragen.

Und wo lässt sich Gemeinschaft am besten Erleben – eben! In der Kneipe.

Nach all den Aufregungen um kreuzende Radfahrer erreichte unsere Motorradgruppe schließlich das “Waldrestaurant Brenscheider Mühle” im oberen Nahmertal. Dieses abgelegene Restaurant ist ein wahrer Geheimtipp und wohl das entlegenste Restaurant, das man sich am Fuße des Ruhrgebiets vorstellen kann. Doch gerade diese Abgeschiedenheit verleiht ihm einen ganz besonderen Charme. Kurzum: es war der perfekte Ort, um eine Pause einzulegen und sich für eine Weile vom Trubel der Straße zu erholen.

Wir nahmen Platz an einem langen Tisch, den unser Roadcaptain für uns bestellt hatte. Die Tische standen draußen, sodass wir nicht nur die Gastfreundschaft des Restaurants, sondern auch die herrliche Natur genießen konnten. Vor uns erstreckte sich ein malerischer Ausblick auf das Tal, begleitet von einem leichten Rauschen des nahen Baches. Die Motorräder waren in Sichtweite geparkt und erinnerten uns an das aufregende Abenteuer, das wir bisher erlebt hatten. Und das gleich wieder auf uns warten sollte: denn, so der Roadie, den Weg, den es raufging, musste es auch wieder heruntergehen. Die Alternative wäre die Umgehungsstrecke der Ramedetalbrücke gewesen. Und niemand, dem nicht alleine die Erwähnung dieses Bauwerks Stress macht, war in den letzten drei Jahren in Nordrhein-Westfalen von Norden nach Süden unterwegs. Aber dieses mal wären wir ja auch die Radfahrer, die von oben kommen. Und runter kommen sie schließlich auch immer.

Im Waldrestaurant Brenscheider Mühle wurden wir herzlich empfangen und hatten die Wahl zwischen einer Vielzahl ortstypischer Spezereien – frisch gebrühter Kaffee, frisch gebackener Kuchen und frisch frittierte Schnitzel in allen Variationen. Während wir unsere köstlichen Speisen und Getränke genossen, ließen wir unsere Blicke über die umliegende Natur schweifen. Die satte grüne Farbe der Bäume, das klare Wasser des Baches und die sanften Hügel bildeten eine Kulisse von unvergleichlicher Schönheit. Unser gemeinsamer Tisch bot uns die Gelegenheit, uns auszutauschen, zu lachen und die gemeinsamen Erlebnisse zu teilen. Es war ein Moment des Zusammenseins und der Verbundenheit, der uns noch stärker vereinte.

So eine Motorradtour ist, wenn man sie auf das Wesentliche reduziert, ja auch nichts anderes als der Weg von der einen Kneipe in die andere. Sagen wir mal so – so mancher fährt halt auch nur von Haus Scheppen bis zum Café Hubraum, entscheidend ist, wie viele Kurven dazwischen liegen. Weil ebenjenes Café Hubraum bei diesem Wetter ebenso voll zu sein scheint wie die Straßen dorthin, weichen wir aus uns begeben uns zur Gemüsescheune in der Elfringhauser Schweiz. Die ist immer ein Geheimtipp und bietet alles, was man am Ende eines langen, kurvenreichen Tages braucht. 

Und es gibt auch ein Wiedersehen mit alten Freunden: die Gänse aus dem letzten Herbst haben den Winter überlebt und bringen den Nachwuchs im Teich vor unseren Mopeds ins Bett, derweil wir den letzten Kaffee des Tages einnehmen. Von hier aus teilt sich, was nicht schon aus anderen Gründen vorher abgebogen war. Ein herrlicher Tag geht friedlich zu Ende. So muss ein Motorradsonntag sein. 

Vielen Dank allen, die dabei gewesen sind. Und dem Roadie für die Planung eines nicht geplanten Tags im Bergischen Land. 

Jetzt wird eben noch gebadet...
... und dann geht's ins Bett, Kinder!

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

Schreibe einen Kommentar